Durch bestimmte Fragen können „innere Landkarten“ erfragt werden, zugeschriebene Eigenschaften und Rollen werden transparent und ihre Veränderbarkeit wird deutlich. Im Gespräch kann auf diese Weise die Aufmerksamkeit auf Ressourcen und Entwicklungsmöglichkeiten gelenkt werden statt auf Defizite und Pathologien; Wahlmöglichkeiten werden hypothetisch eingeführt.

Beispiele für hilfreiche Fragen im interkulturellen Kontext:

Situation der Familie vor der Migration ...

Wer traf die Entscheidung zur Migration? Unter welchen wirtschaftlichen, politischen, familiären Umständen? Wer war am ehesten einverstanden mit dieser Entscheidung, wer am wenigsten? Welche anderen Entscheidungsoptionen hätten bestanden? Mit welchen Konsequenzen?

Zur Situation der Kinder ...

Sind alle Kinder mitgereist? Welches Kind durfte/musste mit nach Deutschland und warum gerade dieses? Welches wurde zurückgelassen und durch welche Umstände begründet sich das? Wie sehen die Großeltern diese Entscheidung? Gibt es in der Familie „Pendelkinder“, die zwischen der Herkunftsgesellschaft und dem jetzigen Lebensmittelpunkt wandern? Welches Kind kommt am besten mit der Schulsituation zurecht? Wie erreicht es das? Wird eine Berufsausbildung in Deutschland Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr ins Heimatland haben und in welcher Weise? Wer vermutet, dass eine deutsche Berufsausbildung Einfluss auf die Partnerwahl haben wird? Wie werden Vater, Mutter, Großeltern, andere Familienangehörige sich dazu stellen?

Zur Familienstruktur ...

Wer trifft in welchen Lebens- und Alltagsbereichen die Entscheidungen? Wie werden anstehende Entscheidungen gemeinsam besprochen? Welche Einflussmöglichkeiten hat der Partner bzw. die Partnerin bei kontroversen Entscheidungen? Formelle? Informelle? Wo und bei wem findet er/sie Unterstützung? Unterstützen die Männer in der Familie eher die Männer und die Frauen eher die Frauen? Welche Veränderungen der Macht- und Entscheidungsstrukturen in der Familie haben sich im Vergleich zu der Zeit vor der Migration entwickelt?

Fragen zum Problem, das in die Beratung geführt hat ...

Wie erklärt sich wer (die anwesenden Familienmitglieder, Verwandte in der alten Heimat, Familienangehörige in Deutschland, der*die behandelnde Ärzt*in, der*die Heilkundige der eigenen Tradition etc.) das Problem? Bei einer Erkrankung: wer reagiert als erstes, wenn die betroffene Person das symptomatische Verhalten zeigt, und in welcher Weise? Welche Unterschiede gibt es in den Erklärungsmodellen: wer erklärt das Problem eher pädagogisch, medizinisch, magisch, biologisch, traumatisch, religiös etc.? Welche Konsequenzen hätten die Erklärungen auf der Handlungsebene? Welche Funktion hat das Problem bzw. die Erkrankung für die Person/die Familie? Wer hat einen Nutzen davon?

Zu den Ressourcen ...

Wer gehört zum unterstützenden System aus dem eigenen kulturellen Verbund? Welche Beispiele gibt es im Verwandten- und Freundeskreis für besonders gut gelungene Migration? Wie sehen diese aus in Bezug auf Anpassung, Assimilation, Bewahrung der Herkunftskultur? Wie will man es eher nicht machen? Wie würde das Problem gelöst werden, wenn die Familie in der alten Heimat leben würde?

Hypothetische Fragen: ...

Was würde passieren, wenn sich das Problem verstärken würde? Wer wird das als erster merken und woran? Welchen Einfluss hätte das auf die Frage, ob die Familie in die Heimat zurückkehren würde? Würde die Familie unter diesen Umständen eher als erfolgreich oder eher als gescheitert gelten?
Angenommen, das Problem verschwindet plötzlich: wie werden die Lebensumstände der einzelnen Familienmitglieder dann aussehen? Wo würde die Familie dann leben? Eher zusammen oder eher getrennt? Wie könnte die Möglichkeit, dieses phasenweise unterschiedlich zu handhaben, aussehen? Wie würden dann Besuche untereinander gestaltet werden? Würde es unter solchen Bedingungen eher familiäre Bindungen mit Mitgliedern der anderen Gesellschaft geben oder hätte das keinen Einfluss? Wie wird die Situation der Familie in fünf Jahren konkret aussehen?

Bikulturelle Paare: ...

Bei bikulturellen Paaren ist es sinnvoll, auch auf die Integration der unterschiedlichen kulturellen Wurzeln im Alltag der Familie zu fokussieren: Aus welcher der beiden Heimatländer kommt die überwiegende Esskultur der Familie und wie hat die Familie sich dazu entschieden? Wie sieht die Wohnungseinrichtung aus und wie ist diese Entscheidung zustande gekommen? Welche Jahresfeste und religiöse Feste werden in der Familie begangen, welche Sprache wird im Alltag, welche in der Intimität des Paares gesprochen? Sprechen die Kinder die Muttersprache des Elternteils, der aus dem anderen Land kommt? Wie gelingt es diesem Elternteil, den Kindern seinen kulturellen Hintergrund zu zeigen (Erzählungen, Märchen, Lieder, Besuche in der Heimat etc.)? Wie werden die Kinder die Unterschiedlichkeit ihrer Wurzeln als Ressource in ihr Leben integrieren? Welche der Aspekte der jeweiligen elterlichen kulturellen Zugehörigkeit werden sie übernehmen, welche eher ablehnen? Aus welcher kulturellen Gesellschaft werden sie sich wahrscheinlich ihre Partner*innen suchen?