Vieles ist unverfügbar, nicht machbar

Um Ohnmacht, Ungewissheit, Unsicherheit, denen wir uns ausgeliefert sehen, besser annehmen zu können, kann ein Perspektivwechsel helfen, zu dem uns religiöse und spirituelle Traditionen einladen. Sie helfen zu einer Dezentrierung: Es gibt nicht nur mein Mitgestalten, Machen und Schaffen, sondern vieles in meinem Leben geschieht. Dies hilft, die gegenwärtige Ohnmacht besser auszuhalten: Nicht ich alleine bin der Macher / die Macherin meines Lebens. Grundlegend ist mir mein Leben geschenkt, jeden Tag neu, auf unbekannte Zeit. Wenn ich mein Tun in „etwas Größeres“ einordnen kann und etwas von der Erfahrung von Gelingen oder Versagen abgeben kann, gewinnt das Leben „Luft“. Dies erfordert, meine festen Vorstellungen davon, wie mein Leben sein soll, immer wieder aufzugeben und offen zu werden für Veränderung, für Neues, für Wachstum.

Spirituelle Impulse
​Akzeptieren, was ist – das Grübeln und Kämpfen einstellen

Diese Akzeptanz bedeutet kein Gutheißen, sondern ein nüchternes Annehmen. So ist es! Das ist nicht zu verwechseln damit, die Hände in den Schoß zu legen, sondern realistisch wahrzunehmen, was jetzt ist und sich meiner Kontrolle entzieht.

→ „Wer weiß.“ Eine Geschichte aus China

Es war einmal ein alter Mann, der zur Zeit Lao Tses in einem kleinen chinesischen Dorf lebte. Der Mann lebte zusammen mit seinem einzigen Sohn in einer kleinen Hütte am Rande des Dorfes. Ihr einziger Besitz war ein wunderschöner Hengst, um den sie von allen im Dorf beneidet wurden. Es gab schon unzählige Kaufangebote, diese wurden jedoch immer strickt abgelehnt. Das Pferd wurde bei der Erntearbeit gebraucht und es gehörte zur Familie, fast wie ein Freund.

Eines Tages war der Hengst verschwunden. Nachbarn kamen und sagten: “Du Dummkopf, warum hast du das Pferd nicht verkauft? Nun ist es weg, die Ernte ist einzubringen und du hast gar nichts mehr, weder Pferd noch Geld für einen Helfer. Was für ein Unglück!” Der alte Mann schaute sie an und sagte nur: “Wer weiß …“

Das Leben musste jetzt ohne Pferd weitergehen und da gerade Erntezeit war, bedeutete das unheimliche Anstrengungen für Vater und Sohn. Es war fraglich ob sie es schaffen würden, die ganze Ernte einzubringen.

Ein paar Tage später, war der Hengst wieder da und mit ihm war ein Wildpferd gekommen, das sich dem Hengst angeschlossen hatte. Jetzt waren die Leute im Dorf begeistert. “Du hast Recht gehabt”, sagten sie zu dem alten Mann. Das Unglück war in Wirklichkeit ein Glück. Dieses herrliche Wildpferd als Geschenk des Himmels, nun bist du ein reicher Mann…” Der Alte sagte nur: “Wer weiß …“

Die Dorfbewohner schüttelten den Kopf über den wunderlichen Alten. Warum konnte er nicht sehen, was für ein unglaubliches Glück ihm widerfahren war? Am nächsten Tag begann der Sohn des alten Mannes, das neue Wildpferd zu zähmen und zuzureiten. Beim ersten Ausritt warf ihn dieses so heftig ab, dass er sich beide Beine brach. Die Nachbarn im Dorf versammelten sich und sagten zu dem alten Mann: “Du hast Recht gehabt. Das Glück hat sich als Unglück erwiesen, dein einziger Sohn ist jetzt ein Krüppel. Und wer soll nun auf deine alten Tage für dich sorgen?’ Aber der Alte blieb gelassen und sagte zu den Leuten im Dorf: “Wer weiß … Das Leben geht seinen eigenen Weg, man soll nicht urteilen und kann nur vertrauen.”

Es war jetzt alleine am alten Mann die restliche Ernte einzubringen. Zumindest war das neue Pferd soweit gezähmt, dass er es als zweites Zugtier für den Pflug nutzen konnte. Mit viel Schweiß und Arbeit bis in die Dunkelheit, sicherte er das Auskommen für sich und seinen Sohn.

Ein paar Wochen später begann ein Krieg. Der König brauchte Soldaten, und alle wehrpflichtigen jungen Männer im Dorf wurden in die Armee gezwungen. Nur den Sohn des alten Mannes holten sie nicht ab, denn den konnten sie an seinen Krücken nicht gebrauchen. “Ach, was hast du wieder für ein Glück gehabt!”‘ riefen die Leute im Dorf. Der Alte sagte: “Wer weiß … Aber ich vertraue darauf, dass das Glück am Ende bei dem ist, der vertrauen kann.”

→ Achtsamkeitsübungen

Die Natur und unser eigener Körper sind uns für die grundlegenden Lebensprozesse, in die wir eingeordnet sind, Lehrmeister.  Auf sie zu achten, hilft uns, uns besser zu verstehen und das, was geschieht, allmählich als „in Ordnung“ anzunehmen.

Zur Einübung helfen verschiedene Achtsamkeitsübungen. Diese Übungen sind meist leicht zu verstehen, brauchen aber in der Regel Monate und Jahre, um sie zu einer Lebenspraxis werden zu lassen. Das Achtsamkeitskonzept entstammt Weisheitslehren und Religionen, die sich als Antwort auf die Verletzlichkeit des Lebens verstehen lassen. Heute wird es vor allem als unmittelbare Lebenshilfe zur Stressbewältigung verwendet; die existenzielle oder spirituelle Dimension spielt oft keine Rolle mehr.

Was ist Achtsamkeit? Kurze Impulse finden Sie unter: https://www.mihuppertz.de/ist-achtsamkeit/    und ausführlicher in: (Huppertz, 2015).

Impulse aus den Religionen

Die Grunderfahrung der Religionen ist: Der Mensch ist eingebunden in die Zeit zwischen Geburt und Tod, er ist begrenzt, nicht allmächtig. Die monotheistischen Religionen formulieren: Der Mensch ist nicht Gott. Dazu „Ja“ zu sagen, kann aus der Ohnmacht in Demut und Gelassenheit führen: ich lasse zu, wie es ist. In Notsituationen braucht dies Geduld und Hoffnung.

→ Christentum

Aus der Bergpredigt Jesu

(Mt 6,26f. 31-33): Sorgt euch zuerst um das Reich Gottes

Seht euch die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen, euer himmlischer Vater ernährt sie. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie? Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Zeitspanne verlängern? […] Macht euch also keine Sorgen und fragt nicht: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen? Denn um all das geht es den Heiden. Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr das alles braucht. Euch aber muss es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben.“

Geduld in Bedrängnis

Röm 5,3-5: wir rühmen uns ebenso der Bedrängnisse; denn wir wissen: Bedrängnis bewirkt Geduld, Geduld aber Bewährung, Bewährung Hoffnung. Die Hoffnung aber lässt nicht zugrunde gehen.

→ Judentum

Not und Bedrängnis brauchen in besonderer Weise Durchhaltekraft und Geduld. So zeigen es die 40 Jahre Durchzug des Volkes Israel durch die Wüste, so finden sich vielfache Mahnungen, z.B.

Hiob: 1,21: Der Herr hat’s gegeben. Der Herr hat’s genommen. Der Name des Herrn sei gebenedeit.

→ Islam

Geduldig sein in der Not

[Unterlegen] Unglück und Leid wird im Islam vor allem als Prüfung durch Gott verstanden. Geduld und Vertrauen auf die größere Gerechtigkeit Gottes sind der Weg, um diese Prüfung zu bestehen. Geduld ist die Fähigkeit, die Dinge so anzunehmen wie sie sind, die Fähigkeit loslassen zu können. Geduld gilt daher auch als eine Grundeigenschaft weiser Menschen. Gott verspricht, dass er die Geduldigen belohnen wird.

Sure 3, Vers 200:

يَا أَيُّهَا الَّذِينَ آمَنُواْ اصْبِرُواْ وَصَابِرُواْ وَرَابِطُواْ وَاتَّقُواْ اللَّهَ لَعَلَّكُمْ تُفْلِحُونَ

O Ihr, die den Iman verinnerlicht habt! Übt euch in Geduld, seid standhaft nach Kräften, haltet euch in Bereitschaft und handelt Taqwa gemäß ALLAH gegenüber, damit ihr erfolgreich werdet.

Sure 2, Verse 155-157:

;وَلَنَبْلُوَنَّكُمْ بِشَيْءٍ مِّنَ الْخَوْفْ وَالْجُوعِ وَنَقْصٍ مِّنَ الأَمْوَالِ وَالأنفُسِ وَالثَّمَرَاتِ وَبَشِّرِ الصَّابِرِينَ; الَّذِينَ إِذَا أَصَابَتْهُم مُّصِيبَةٌ قَالُواْ إِنَّا لِلَّهِ وَإِنَّا إِلَيْهِ رَاجِعُونَ

أُوْلَئِكَ عَلَيْهِمْ صَلَوَاتٌ مِّن رَّبِّهِمْ وَرَحْمَةٌ وَأُولَئِكَ هُمُ الْمُهْتَدُونَ

Doch verkünde den Geduldigen eine frohe Botschaft, die, wenn sie ein Unglück trifft, sagen: ‘Wir gehören Allah und zu Ihm kehren wir zurück.’ Auf diese lässt ihr Herr Segnungen und Barmherzigkeit herab und diese werden rechtgeleitet sein.

Der Glaube an die Vorherbestimmung und das Handeln des Menschen

Erlebt ein gläubiger Muslim oder eine gläubige Muslima durch eine Krankheit Schwäche und Grenzen, so kann dies eine Gelegenheit sein, dem eigenen Schöpfer näher zu kommen. Dies wiederum kann ihm oder ihr helfen, durch den Glauben am eigenen Verhalten zu arbeiten, um gesund zu werden. Der Glaube an die Vorhersehung Gottes und seine Vorherbestimmung bestimmen die Haltung einer muslimischen Person. Es scheint eine passive Haltung vorhanden zu sein, da Gott schon alles vorbestimmt hat. Islamische Gelehrte interpretieren aber auch das Prinzip des Qadar-Glaubens so, dass eine Krankheit oder ein Unglück zwar durch Gottes Willen auf einen Menschen zukommt, dass es aber dem Menschen obliegt, alles ihm Mögliche zu tun, um damit umzugehen (Göksu & Ilkiliz, 2018; Ilkilic, 2002).

Weitere Suren des Korans, die Muslime beten, wenn sie ein Unglück trifft:

Sure 2:286: Wem Gott ein Leben mit Leiden gibt und er trotzdem Gott gegenüber dankbar ist, der hat viel von Gott zu erwarten.

Sure 2:156: die, wenn sie ein Unglück trifft, sagen: “Wir gehören Allah und zu Ihm kehren wir zurück.”
Zur deutschen Übersetzung: http://de.noblequran.org/koran/sura-al-baqara/ayat-156/

Sure 4:78: Sprich: „Alles (Gutes und Böses) ist von Gott.”

Sure 2:216. Doch es mag sein, dass euch etwas widerwärtig ist, was gut für euch ist, und es mag sein, dass euch etwas lieb ist, was übel für euch ist. Und Gott weiß es, doch ihr wisset es nicht.

Sure 93:1-5: Beim Vormittag und bei der Nacht, wenn alles still ist! Dein Herr hat dich weder verlassen, noch verabscheut. Wahrlich, das Jenseits ist besser für dich als das Diesseits. Und wahrlich, dein Herr wird dir geben und du wirst wohlzufrieden sein.