Traumatisierung, Kriegs- und Gewalterlebnisse
Traumatisierungen bzw. traumatische Kriegs- und Gewalterlebnisse in den Herkunftsländern können zu einer deutlich höheren Gewalttoleranzschwelle führen, die sich auch nach der Flucht in Deutschland noch zeigt (vgl. Uslucan 2014, S. 313). Mussten Familien in ihren Herkunftsländern oder -regionen über viele Jahre oder Jahrzehnte hinweg Krieg, Bürgerkrieg oder Verfolgung ertragen, kann Gewalt im Sinne einer Kultur der Gewalt sogar zu einem normalen Teil des Alltags für diese geworden sein und zu einer normalen Vorgehensweise, um Konflikte zu regeln und Interessen durchzusetzen. Dies kann sich auch auf das Zusammenleben innerhalb der Familie auswirken (Bar-Tal 2000).
Die psychischen Folgen für die einzelnen Familienmitglieder von (vor, auf und auch nach der Flucht/Migration) erlebten traumatischen Erfahrungen, insbesondere psychische oder psychosomatische Symptome wie Traumafolgestörungen und Depressionen, können den Familienalltag stark belasten. Betroffene Erziehungspersonen können sich oft nicht angemessen um die Kinder kümmern und ihnen Fürsorge, Halt und Orientierung geben. Betroffene Kinder zeigen häufig Entwicklungs- und Verhaltensauffälligkeiten, die sich auch stark auf zwischenmenschliche Beziehungen auswirken (vgl. Abdallah-Steinkopff 2018, S. 24 f.) und zu vermehrten Konflikten innerhalb der Familie führen können.
Gewaltbegünstigende Männlichkeitskonzepte und Erziehungsvorstellungen
Als ein weiterer Einflussfaktor können gewaltbegünstigende bzw. -legitimierende herkunftskulturelle Konzepte wirken. Dies sind insbesondere traditionelle Männlichkeitskonzepte, die Männlichkeit mit Dominanz und körperlicher Stärke verbinden und im Falle von (drohenden) Ehrverletzungen die Ausübung von Gewalt sogar normativ einfordern (vgl. Uslucan 2014, S. 314), oder auch gewaltlegitimierende Erziehungskonzepte.
Gesellschaftliche Gewalt und Diskriminierung
Gleichzeitig stellt die Gewalt, insbesondere die Gewalt gegen Kinder, einen wesentlichen Auslöser für die Flucht vieler Familien dar, zum Beispiel „die Angst davor, dass Kinder zwangsrekrutiert und als Kindersoldaten eingesetzt werden, (…) verschlossene Bildungswege und damit einhergehend ein Leben ohne wirkliche Perspektiven, Diskriminierung aufgrund der Abstammung aus ungesetzlichen Beziehungen der Eltern, nicht in Geburtsregistern aufzutauchen und der damit einhergehende Ausschluss von allen Bürgerrechten oder die Gefahr, Opfer von Kinderhandel zu werden“ (Berthold 2014, S. 11).
Konsequenzen für die Gewaltprävention
Bei der Prävention wie auch der Aufarbeitung von familialen Gewalterfahrungen kann es wichtig sein, zunächst dafür zu sensibilisieren, wo Gewalt beginnt und welche Auswirkungen diese auf die Betroffenen bzw. auf die gesamte Familie hat.
Betroffene sollten wissen, dass sie keine Schuld an der erlittenen Gewalt haben und dass die Anwendung von Gewalt unrecht ist. Männlichkeitskonzepte und Erziehungsvorstellungen sind zu thematisieren und sollten durch Diskussion und Aufzeigen von Folgen und Alternativen aufgeweicht werden. Mögliche Traumatisierungen bei den Täter*innen wie auch den Betroffenen sollten abgeklärt und berücksichtigt werden.