Kritische Anpassung und Trauer →

Die Phasen der „Kritischen Anpassung“ und der „Trauer“ kennzeichnen sich häufig durch die Sorge um die Absicherung der Existenz, durch die Angst vor und die Auseinandersetzung mit dem Fremden, durch das Ringen um die Bewahrung des Eigenen und durch die Trauer über den Verlust des Zurückgelassenen (vgl. Machleidt/Calliess 2011, S. 419). Die im Herkunftsland erlernten Bewältigungsmechanismen und die dort verfügbaren Ressourcennetzwerke funktionieren im Aufenthaltsland möglicherweise nicht mehr. Die individuelle und kollektive Identität wird in dieser Phase in Frage gestellt, eine neue hybride Identität ist noch nicht gefunden. Die Entwicklung einer solchen wird auch zum Teil, insbesondere bei Flucht, durch die politische und auch gesellschaftliche Situation im Aufnahmeland behindert oder erschwert (vgl. Kizilhan 2013, S. 19).

Infolge von Überforderung oder auch als Abwehrmechanismen gegenüber dem Fremden können in dieser Phase vermehrt kulturelle Konflikte entstehen. Anhaltende innerliche Ambivalenzen und Zerwürfnisse, Gefühle der Verunsicherung, des Unwohl- oder Fremdsein, können zunächst die Folge sein (vgl. Walter/Adam 2000, S. 207), bis hin zu kultureller Verwirrung, Entfremdung und Isolation. Dies wird oft als „Kulturschock“ bezeichnet. Für alle zugewanderten Menschen, unabhängig vom Migrationsmotiv, sind diese Phasen mit einer erhöhten Vulnerabilität („Verletzbarkeit“) verbunden.

Kommen belastende Lebensereignisse und weitere Herausforderungen hinzu, wie z. B. der Verlust von nahestehenden Menschen, unklare bzw. unsichere Zukunftsperspektiven, sprachliche Verständigungsprobleme, finanzielle Krisen oder aber die Corona-Pandemie, kann dies die psychische Belastung weiter verstärken und wiederum die Anpassung und Integration im Aufnahmeland erschweren (vgl. Kizilhan/Bermejo 2009, S. 510 f.).

Für Geflüchtete ist aufgrund der vielfältigen Belastungen vor, während und nach der Flucht in der fünften „Phase der kritischen Anpassung“ eine Dekompensation [Link: Bei einer Dekompensation können sich Gefühle von Verzweiflung, Leere, Unsicherheit und leichte psychische Symptome wie Schlafstörungen, Ängste und Depressionen bemerkbar machen, ohne dass sich daraus eine Pathologie entwickelt.] bereits angelegt. Ängste und Sorgen durch die Corona-Pandemie, z. B. um Familie und Freunde im Herkunftsland, können diese verstärken und zu einer psychischen Erkrankung führen bzw. die Symptome einer bereits bestehenden psychischen Erkrankung verstärken.